Assistenzhund im Sozialrecht

Hund auf Rezept? Geht das?

Dieses Bild zeigt links das gelbe HfH Logo und rechts in roten Buchstaben: Gefördert durch die Aktion Mensch.

Das Problem

  • Ein Mobilitäts-Assistenzhund ist (noch) kein anerkanntes medizinisches Hilfsmittel
  • Unsere (Mobilitäts-)Assistenzhund sind dem Blindenführhund nicht gleichgestellt
  • Außer bei Führhunden sind Krankenkassen und Ämter noch nicht gewohnt, einen Assistenzhund zu bezahlen
  • Die Kostenübernahme für einen Assistenzhund ist immer eine Einzelfallentscheidung

Das Projekt

  • Wir stellen gemeinsam individuelle Anträge auf Kostenübernahme an unsere jeweiligen Krankenkassen
  • Indem wir das gemeinsam tun, motivieren wir uns, am Ball zu bleiben und während des langwierigen Prozesses nicht aufzugeben.
  • Wir teilen unsere Erfahrungen und lernen
    • wie Krankenkassen und Ämter argumentieren
    • wie wir argumentieren können
  • Durch unsere Anträge wollen wir rechtsgültige Entscheidungen erwirken
  • Durch unsere Widerspruchsverfahren und eventuelle Klagen erwirken wir Gerichtsurteile
  • Andere Antragsteller können sich später auf unsere Verfahren beziehen

Aktion Mensch unterstützt unser Projekt mit einer Mikroförderung, so dass wir ein Budget haben, damit wir juristisch begleitet und beraten werden.

Rechtliche Grundlagen

  • Wir fassen hier nur zusammen, was wir im Laufe des Projektes zusammengetragen und gelernt haben. Das ist ohne Gewähr.
  • Wir sind keine Rechtsberatung.

Medizinische Hilfsmittel

  • Gegenstände, um eine Behinderung auszugleichen
    • Hörgerät
    • Greifhilfe
    • Türöffner
    • Rollstuhl
  • Keine alltäglichen Gebrauchsgegenstände
    • Brille
    • Familienhund
  • Einkommens- und vermögensunabhängig
  • Krankenkassen prüfen die Verordnung eines medizinischen Hilfsmittels hinsichtlich:
    • Gibt es alternative Hilfsmittel, die genauso gut oder besser sind?
    • Hat die Krankenkasse so ein Hilfsmittel vorrätig, so dass kein Neues angeschafft werden muss?
    • Bemerkung: Die ärztliche Diagnose und Verordnung wird nicht in Frage gestellt.

Hilfsmittelverzeichnis der GKV

  • Ist eine Liste von Produkten, die die Krankenkassen prinzipiell übernehmen.
  • Der Blindenführhund steht in dieser Liste, andere Assistenzhunde stehen nicht darin.
  • Die Liste ist aber nur eine Orientierungshilfe und nicht abschließend.
  • Auch Produkte, die nicht in dieser Liste stehen, können von der Krankenkasse übernommen werden.
  • Eventuell lehnt die Krankenkasse den Antrag jedoch trotzdem erstmal mit der Begründung ab, dass der Assistenzhund nicht im Hilfsmittelverzeichnis steht.

Medizinisches Heilmittel

  • Ein Heilmittel hilft, eine Krankheit zu heilen oder zu lindern.
  • Der therapeutische Nutzen muss anerkannt sein.
  • Assistenzhunde für Menschen mit Diabetes mellitus (“Zuckerkrankheit”) könnten als Heilmittel verstanden werden oder mit Heilmitteln verglichen werden.

Hilfsmittel zum Behinderungsausgleich

  • werden von der Krankenkasse finanziert, wenn sie
    • eine verlorengegangene Körperfunktion ausgleichen oder ersetzen
    • ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens ermöglichen, dazu gehören
      • Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das Ausscheiden, die elementare Körperpflege
      • das selbstständige Wohnen
      • sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums
  • Es wird zwischen Hilfsmitteln zum unmittelbaren oder mittelbaren Behinderungsausgleich unterschieden.

Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich

  • ersetzt eine verlorengegangene Körperfunktion teilweise oder ganz
    • z.B. ermöglicht die Prothese das Laufen
  • Blindenführhunde sind ein Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich.
    • Sie ersetzen zwar nicht das Auge, aber sie gleichen den Verlust der Umweltkontrolle und damit eine unmittelbare Folge der Blindheit aus.
  • gelten immer als wirtschaftlich.
    • Es sei denn, es gibt ein anderes Hilfsmittel, das genauso gut oder besser ist.

Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich

  • gleicht die indirekten Folgen der Behinderung aus.
  • Wenn ein Hilfsmittel ein behinderungsbedingtes Defizit nicht unmittelbar ausgleicht, sondern ein Folgedefizit ausgleicht oder lindert:
    • Eine Klingelleuchte ersetzt nicht das Hören, aber der Hörgeschädigte wird auf das Klingeln aufmerksam gemacht.
    • Der Rollstuhl ermöglicht die Mobilität, aber nicht das Laufen oder Stehen.
  • wird nur gewährt, wenn es im alltäglichen Leben hilft, nicht nur in einem bestimmten Bereich (Beruf, Gesellschaft, Freizeit)
  • Ein Mobilitäts-Assistenzhund ersetzt zwar das Greifen, aber nicht das Geh- oder Stehvermögen und kann deshalb höchstens als Mittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich zugerechnet werden.

Leistung zur medizinischen Rehabilitation über Eingliederungshilfe

  • nach § 109 SGB IX,
  • wird vom Sozialamt übernommen,
  • ist einkommens- und vermögensunabhängig,
  • Leistungen der Eingliederungshilfe sind “nachrangig”.

Leistungen zur sozialen Teilhabe über Eingliederungshilfe

  • Das Sozialamt kann den Assistenzhund als Hilfsmittel/Maßnahme zur sozialen Teilhabe über die Eingliederungshilfe finanzieren,
    • wenn es den Assistenzhund nicht als medizinisches Hilfsmittel anerkennt,
    • aber der Assistenzhund, ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht (zur sozialen Teilhabe).
  • Diese Leistung ist einkommens- und vermögensabhängig

Wir beantragen den Assistenzhund als Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich,

  • weil wir seit 30 Jahren mit unseren Versuchen nicht damit durchgekommen sind, dass unsere Assistenzhunde als Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich (analog zum Blindenführhund) anerkannt wurden.
  • denn Assistenzhunde ersetzen keine Körperfunktion → kein unmittelbarer Behinderungsausgleich
  • Die Versorgung mit Hilfsmitteln ist Einkommens- und vermögensunabhängig
  • Für Hilfsmittel ist immer die gesetzliche Krankenversicherung (§ 33 Sozialgesetzbuch fünf) zuständig,
  • Krankenkasse ist vorrangiger Kostenträger

Wie formuliert man gezielt einen Antrag auf ein medizinisches Hilfsmittel?

  • Die Krankenkasse muss Hilfsmittel zur Erfüllung von Grundbedürfnissen des täglichen Lebens erfüllen
  • Der Assistenzhund
    • ermöglicht selbstständiges Wohnen
    • hilft beim Greifen
    • ermöglicht Mobilität in nächster Umgebung
    • ermöglicht Selbstbestimmung (Nicht angewiesen sein auf andere Menschen)
  • Es wird nicht erwähnt, dass
    • der Assistenzhund mit zur Arbeit geht,
    • das Verreisen ermöglicht,
    • den Besuch von Freunden, Kino, Restaurants, etc. ermöglicht,
    • man mit/durch den Hund Sozialkontakte hat.

Grund: Das sind alles “Wirkungen”, für die eine gesetzliche Krankenkasse als Kostenträger nicht zuständig ist.

Der Antragsablauf

Was benötige ich für einen Antrag?

  • Rosa Rezept / ärztliche Verordnung
  • Selbst formulierter Antrag
  • Eine Stellungnahme einer fachlich kompetenten Person wird spätestens beim Widerspruch benötigt
    • Diese Stellungnahme kann inhaltlich genau die Punkte des Antrags wiedergeben
    • ggf. widerspricht die Stellungnahme einzelnen Begründungen der Ablehnung durch die Kasse

Welche Arbeit kommt auf mich zu?

Initial mehrere Stunden bis wenige Tage für

  • Abstimmung mit dem Haus- oder Facharzt, um ein Rezept ausgestellt zu bekommen,
  • Antrag mit Begründung formulieren,
  • Antrag mit Rechtsanwalt (Erfahrung / Spezialisierung auf Sozialrecht) abstimmen,
  • Antrag mit Rezept abschicken.

Danach alle paar Tage bis Wochen mehrere Stunden Arbeit für z.B.

  • Auf Antwort der Krankenkasse reagieren
    • widersprechen
    • Rückfragen beantworten
    • Informationen nachreichen
    • Fragebögen ausfüllen
    • Auskunft über Behinderung erteilen
    • Auskunft über Vermögen erteilen (Soziale Teilhabe)
  • Besuch des MDK (=Medizinischer Dienst der Krankenkassen) bei Antragsbearbeitung durch Kasse oder Amtsarzt bei Antragsbearbeitung durchs Sozialamt.
  • Gutachten / Stellungnahmen durch fachlich kompetente Personen beibringen
  • Jeden Schriftwechsel mit Rechtsanwalt abstimmen
  • Schriftwechsel sammeln und systematisch (Eingangs- und Ausgangsdaten) dokumentieren.

Welche Ablehnungsgründe haben wir kennen gelernt?

  1. “Nicht im Hilfsmittelverzeichnis”
    s.o. kann direkt widersprochen werden mit Anführung entsprechender Urteile (Anwalt fragen)
  2. “Gegenstand des täglichen Gebrauchs”
    Argument dagegen: Ein Assistenzhund wird speziell ausgebildet und ist kein “alltäglicher” Hund.
     
  1. “Assistenz ist durch Leistungen der Pflegekasse abzudecken” (= Sozialstationen, menschliche Assistenz)
    Argument dagegen: Der Hund macht mich unabhängig von Hilfspersonen.
  2. “Assistenzhund ist keine Leistung der Krankenkasse, sondern eine Leistung der Träger der Eingliederungshilfe, weil der Assistenzhund der soziale Teilhabe dient.”
    Argument dagegen: Der Hund hilft zuhause in der Wohnung. Der Hund hilft bei der Erfüllung der Grundbedürfnisse des alltäglichen Lebens. In Gesellschaft / Auf Arbeit wird die Hilfe nicht benötigt. Der Hund macht mich unabhängig von Hilfspersonen.

Praktische Tipps

Das sind Notizen, die wir in der Gruppe gelernt haben, ohne im einzelnen zu wissen, ob es juristisch richtig ist, im Einzelfall anders oder wir es vielleicht in ein paar Jahren anders sehen, weil wir Neues dazu gelernt haben.

Fristen kennen

FristAntragstellerLeistungsträger
beliebigAntrag stellen 
2 Monate Antrag entscheiden / ablehnen
1 MonatWiderspruch 
3 Monate Widerspruch entscheiden / ablehnen
1 MonatKlage einreichen 

Beratungshilfeschein für den Widerspruch beantragen

  • bei geringem Einkommen
  • beim Amtsgericht seines Wohnorts
  • ist unabhängig von der Erfolgsaussicht
  • soll ausgleichen, dass die gegnerische Seite professionelle Mitarbeiter beschäftigt

Prozesskostenhilfe für die Klage beantragen

  • bei geringem Einkommen
  • wird beim Prozessgericht beantragt
  • muss innerhalb der Klagefrist (1 Monat) geklärt werden, bevor man die Klage einreicht
  • man muss Unterlagen / Beweismittel beibringen, um die Erfolgsaussicht zu begründen
  • die Erfolgsaussicht wird geprüft
    • Im Falle eines Assistenzhunds kann der Bewertungsmaßstab vermutlich jedoch nicht zu hoch sein
  • es werden die Gerichtskosten und ggf. die eigenen Anwaltskosten übernommen
  • Wenn man verliert, muss man allerdings die gegnerischen Kosten tragen
    • aber beim Sozialgericht fallen in der Regel keine gegnerischen Kosten an, denn
      • Klagen vor dem Sozialgericht sind kostenlos
      • Die Krankenkasse beschäftigt eigene Sachbearbeiter für das Gerichtsverfahren

Widerspruch

  • Akteneinsicht durch Anwalt fordern
  • Argumente wiederholen
  • Begründung der Ablehnung widerlegen
  • Nichtwiderlegbare Gründe für die Ablehnung ignorieren, übergehen und nicht erwähnen
  • Argumente zurückhalten, nur auf die widerlegbaren Gründe der Ablehnung eingehen

Akteneinsicht bei Widerspruch fordern

  • formlos widersprechen
  • dabei Akteneinsicht durch Anwalt fordern
  • mit Hilfe der Akteneinsicht Widerspruch begründen
  • die Begründung des Widerspruchs muss trotzdem innerhalb der Monatsfrist nachgereicht werden

Argumente im Widerspruch wiederholen

Im Widerspruch können/sollten alle Argumente und Begründungen aus dem Antrag wiederholt werden.

Begründung der Ablehnung widerlegen

  • Nur die Gründe für die Ablehnung im Widerspruch widerlegen
  • Nichtwiderlegbare Gründe für die Ablehnung ignorieren, übergehen und nicht erwähnen

Argumente zurückhalten

Es kann sein, dass man aufgrund der Akteneinsicht, weitere Gründe für eine Ablehnung erkennt, die jedoch nicht mehr in der rechtsgültigen Ablehnung auftauchen. Auf diese unerwähnten Gründe geht man in seinem Widerspruch am besten nicht ein, sondern wartet ab, bis die Kasse diese Gründe vorbringt.

Alles schriftlich

  • Es gilt nur das geschriebene Wort
  • Rechtsgültiger Schriftverkehr: Briefe am besten per Einschreiben oder Fax, damit man einen Nachweis über Absendung und Einlieferung hat.
  • keine Telefonate
  • sollte man angerufen werden, Gesprächsnotiz anlegen

Gesprächsnotiz / Name aufschreiben

  • Namen aufschreiben
  • Namen nochmal erfragen
  • Datum, Uhrzeit und Dauer aufschreiben
  • Gesprächsnotiz anlegen / mitschreiben
  • Dem Anrufer erklären, dass man eine Gesprächsnotiz für seine Akten angelegt hat

Sollte man gerade nicht in der Lage sein, eine Gesprächsnotiz anzulegen, dann

  • Gespräch ablehnen und um Schriftform bitten
    • Der Anrufer soll sein Anliegen schriftlich formulieren

Ende

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